Wirtschaftspsychologie
Michèl Taleb • 2. September 2024

Psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz

Was ist psychologische Sicherheit?

Psychologische Sicherheit ist das Gefühl, dass Mitarbeiter ihre Meinungen, Ideen, Kritik oder Fragen offen äußern können, ohne Angst vor negativen Konsequenzen zu haben. Man könnte sagen, es herrscht ein Klima, in dem jeder seine Gedanken und Gefühle teilen kann, ohne befürchten zu müssen persönlich abgelehnt zu werden.


In einem Umfeld mit hoher psychologischer Sicherheit werden verschiedene Perspektiven geschätzt.

Mitarbeiter sind eher bereit, konstruktives Feedback zu geben und anzunehmen – das hilft allen dabei, gemeinsam zu lernen und sich weiterzuentwickeln.

Die psychologische Sicherheit eines Teams wird von der Führungskraft, dem Teamklima und der Unternehmenskultur beeinflusst.


Wichtig ist auch:

Psychologische Sicherheit entsteht nicht einfach so; sie muss in jedem Team individuell entwickelt und gefördert werden.

Das Spannende daran ist, dass psychologische Sicherheit nicht von der Persönlichkeit eines Mitarbeiters abhängt. Vielmehr ist sie eine Eigenschaft des Arbeitsplatzes selbst.

Das Konzept stammt von der Organisationspsychologin Amy Edmondson, die bereits 1999 damit begann, darüber zu forschen und zu schreiben. Sie hat herausgefunden, dass eine sichere Arbeitsumgebung es den Menschen erleichtert, zwischenmenschliche Risiken einzugehen.


Vertrauen und psychologische Sicherheit sollten nicht verwechselt werden. Vertrauen kann zwar hilfreich sein, um psychologische Sicherheit aufzubauen, aber die beiden Begriffe sind nicht dasselbe. Vertrauen bezieht sich auf die Beziehung zwischen zwei Personen, während psychologische Sicherheit das gesamte Team betrifft.


Psychologische Sicherheit und Leistungsstandards

Letztendlich bedeutet psychologische Sicherheit nicht, dass die Arbeit so angenehm wie möglich gestaltet werden soll oder, dass die Leistungsansprüche am Arbeitsplatz sinken.


Im Gegenteil:

Amy Edmondson betont, dass psychologische Sicherheit auch in Umgebungen mit hohen Zielen und Leistungsstandards bestehen kann. Sie hat ein Modell entwickelt, das zeigt, wie psychologische Sicherheit und Leistungsstandards zusammenwirken.

Wenn sowohl die psychologische Sicherheit als auch die Leistungsstandards niedrig sind, landet man in der sogenannten „Apathie-Zone“. Hier wird oft nur das Nötigste erledigt, ohne Freude an der Arbeit und mit wenig Verantwortungsbewusstsein. Die Zusammenarbeit im Team bleibt ebenfalls auf der Strecke.


In der „Komfort-Zone“ sieht es anders aus: Hier ist die psychologische Sicherheit hoch, aber die Leistungsstandards sind niedrig. Die Mitarbeiter arbeiten gerne und kollegial zusammen, doch die Aufgaben sind nicht wirklich herausfordernd.


Wenn hohe Leistungsstandards auf niedrige psychologische Sicherheit treffen, befinden wir uns in der „Angst-Zone“. In dieser Zone herrschen Unsicherheit und zwischenmenschliche Ängste, was zu Unzufriedenheit führt und sich negativ auf die Qualität der Arbeit auswirkt.


Die beste Situation ist die „Lern-Zone“, wo sowohl psychologische Sicherheit als auch hohe Leistungsstandards gegeben sind. In dieser Zone arbeiten die Mitarbeiter eng zusammen, lernen voneinander und entwickeln gemeinsam innovative Ideen. Das ist der Ort, an dem echtes Wachstum und Bestleistung stattfinden können!

Positive Effekte der psychologischen Sicherheit

Die positiven Effekte psychologscher Sicherheit auf Innovationskraft und Bereitschaft zur Veränderung können dazu beitragen, neue Prozesse zu entwickeln und Veränderungen erfolgreich umzusetzen.

Außerdem spielt psychologische Sicherheit eine große Rolle bei der Schaffung einer gesunden Fehlerkultur am Arbeitsplatz. Fehlerkultur beschreibt, wie eine Organisation mit Fehlern und Misserfolgen umgeht.

Wenn Fehler als Lernchancen und nicht als Versagen betrachtet werden, spricht man von einer gesunden Fehlerkultur.


Diese Einstellung führt dazu, dass Fehler im Unternehmen offener kommuniziert werden. Eine positive Fehlerkultur fördert also einen konstruktiven Umgang mit Fehlern, ohne Schuldzuweisungen oder Schamgefühle.

Mitarbeiter in einem psychologisch sicheren Umfeld sind weniger auf ihren Selbstschutz bedacht und stattdessen stärker auf das Erreichen gemeinsamer Ziele fokussiert.

Arbeitsumgebungen, die von psychologischer Sicherheit geprägt sind, wirken positiv auf Wohlbefinden, Bindung und Engagement und Teambildung der Mitarbeiter.


Aufbau psychologischer Sicherheit im Team

Der Aufbau psychologischer Sicherheit im Unternehmen kann durch verschiedene Maßnahmen schrittweise erfolgen:

  1. Individuelles Verhalten: Jeder Mitarbeiter kann zur psychologischen Sicherheit beitragen, indem er aktiv zuhört, Neugier zeigt und interessierte Fragen stellt. Das Eingehen auf zwischenmenschliche Risiken stärkt ebenfalls die psychologische Sicherheit.
  2. Führungskräfte: Führungskräfte spielen eine entscheidende Rolle. Sie sollten ihre eigene Verletzlichkeit zeigen, um Vertrauen aufzubauen, und den Umgang mit Fehlern vorleben, indem sie Lösungen statt Schuldigen suchen. Fehler sollten als Lernchancen betrachtet werden.
  3. Diversität fördern: Die Wertschätzung von Diversität im Team und das Ermutigen der Mitarbeiter, Perspektiven zu wechseln, können die psychologische Sicherheit erhöhen.
  4. Meinungsäußerung ermöglichen: Es ist wichtig, dass alle Teammitglieder die Möglichkeit haben, ihre Meinungen zu äußern. Aktives Zuhören und regelmäßige Gespräche unterstützen dies.
  5. Ernsthaftigkeit bei Bedenken: Wenn Bedenken oder Kritik geäußert werden, sollten Führungskräfte diese ernst nehmen und gemeinsam mit dem Team an Lösungen arbeiten.
  6. Beziehungsqualität und Autonomie: Die Qualität der Beziehungen innerhalb des Teams sowie der Grad an Autonomie sind wichtige Faktoren für psychologische Sicherheit und sollten gefördert werden.
  7. Organisationskultur: Auf organisatorischer Ebene sollte eine Kultur geschaffen werden, die offene Kommunikation und eine gesunde Fehlerkultur fördert – Fehler sollten als Gelegenheiten zum Lernen betrachtet werden.
  8. Trainings und Workshops: Organisationen können Trainings zu Themen wie aktives Zuhören, Feedback und Konfliktmanagement anbieten sowie spezielle Schulungen für Führungskräfte zur Sensibilisierung für psychologische Sicherheit durchführen.
  9. Messung der psychologischen Sicherheit: Umfragen können genutzt werden, um die psychologische Sicherheit zu messen, Fortschritte zu verfolgen und Handlungsbedarf zu identifizieren.


Durch diese Maßnahmen kann ein Umfeld geschaffen werden, das psychologische Sicherheit fördert und somit das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter steigert.


Fazit


  • Psychologische Sicherheit ist ein wichtiges Konzept in der Arbeitswelt
  • Vorteile sind neben gesteigerter Teamleistung, Arbeitszufriedenheit und Wohlbefinden der Teammitglieder
  • Kultur und Führung sind entscheiden, um ein Gefühl psychologischer Sicherheit aufzubauen


Quellen


Goller, I., & Laufer, T. (2018). Psychologische Sicherheit in Unternehmen. Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-21338-1



Edmondson, A. (1999). Psychological Safety and Learning Behavior in Work Teams. Administrative Science Quarterly, 44(2), 350–383


Edmondson, A. & Kauschke, M. (2020). Die angstfreie Organisation [electronic resource] : wie Sie psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz für mehr Entwicklung, Lernen und Innovation schaffen. Verlag Franz Vahlen.


Edmondson, A., & Lei, Z. (2014). Psychological safety: The history, renaissance, and future of an interpersonal construct. Annual Review of Organizational Psychology and Organizational Behavior, 1(1), 23–43.


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